Donnerstag, 01.07.2010

"Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht!"

Chinesische Boxer-Rebellen, Japanisches Foto um 1900

Zum historischen Hintergrund des Pekinger Platzes

Auf den ersten Blick liest sich Pekinger Platz als ebenso geografisch-neutrale Namensbezeichnung wie etwa die Amsterdamer oder Brüsseler Straße. Tatsächlich aber handelt es sich bei der Namensgebung für den Pekinger Platz sowie der daran vorbeiführenden Kiautschou- und Samoastraße um ein Pendant zum Afrikanischen Viertel. Während im Afrikanischen Viertel mit zahlreichen Straßenbenennungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts das deutsche Kolonialreich in Afrika erinnert wird, bezeichnen diese drei Namen den Kolonialbesitz des kaiserlichen Deutschland in Ostasien und im Pazifik.

Der Pekinger Platz verdankt seine Namensgebung 1905 einem besonders gewaltsamen Kapitel in den deutsch-chinesischen Beziehungen. Fünf Jahre zuvor, im Sommer 1900, marschierte ein internationales Expeditionsheer unter dem Oberbefehl des preußischen Feldmarschalls Alfred von Waldersee in Peking ein. Dort schlugen sie die so genannte Boxerbewegung, die sich gegen den wachsenden Einfluss ausländischer Mächte auf die Wirtschaft und Politik Chinas wandten, blutig nieder. Der souveräne Handlungsspielraum der chinesischen Regierung wurde vertraglich weiter eingeschränkt, es durften z. B. keine Waffen eingeführt werden und China musste für den gewaltsamen Tod von Missionaren und anderen Ausländern erhebliche Reparationen zahlen.

Nicht erst heute, sondern schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts galt China als potenziell wichtiger Absatzmarkt für die aufstrebenden Industrie- und Handelsmächte. Mit ihrer militärischen Überlegenheit erzwangen sie Privilegien für ihre Kaufleute und die Öffnung des chinesischen Markts für ihre Exportprodukte. Dazu gehörte auch der freie Handel von Opium und anderen Drogen. Mittels dieser so genannten Kanonenbootdiplomatie geriet das chinesische Kaiserreich in eine massive Finanzkrise, weil u.a. die Zolleinnahmen stark zurückgingen und die Bauern verarmten, da ihre Produkte jetzt durch billigere Importwaren ersetzt wurden. All dies ging einher mit christlichen Missionierungsbestrebungen.

Als Reaktion darauf entwickelte sich eine Feindseligkeit gegen die Lande tätigen Ausländer und es formierte sich in Nordchina aktiver Widerstand, der sich nicht nur gegen den wachsenden ausländischen Einfluss richtete, sondern auch gegen die eigene Regierung der Qing-Dynastie, die mit den ausländischen Regierungen

(gezwungenermaßen) kollaborierte. Auf dem Lande, wo gerade eine Dürreperiode die Krise verschärfte, bildete sich paramilitärische Geheimgesellschaften, die sich in traditionellen Kampfsportarten ausbildeten - daher im Westen der Name „Boxer“. Sie wurden auch von Teilen der Beamtenschaft unterstützt und proklamierten ab 1898 den bewaffneten Kampf gegen den ausländischen Einfluss und die eigene Regierung, sofern diese mit dem Ausland kollaborierte.

Im Jahre 1900 spitzte sich die Lage zu, als einerseits die „Boxer“ ankündigten die Hauptstadt Peking mit ihrem großen Ausländerviertel besetzen zu wollen und andererseits Kriegsschiffe der ausländischen Mächte bereits vor der Hafenstadt Tianjin vor Anker lagen. Diese Kriegsschiffe nahmen gegen heftigen chinesischen Widerstand die Flussbefestigungen an der Mündung des Behei-Flusses ein und eröffneten so die Möglichkeit, auf dem Land- und Wasserweg Soldaten in das nicht allzu weit entfernte Peking zu entsenden.

Diese Truppenentsendung wurde Wirklichkeit, als die Boxerbewegung auch das Botschaftsviertel in Peking angriff, nachdem ausländisches Wachpersonal seinerseits die Boxer angegriffen und die ausländischen Gesandtschaften einen Abzug unter Begleitschutz abgelehnt hatten.

Nachdem der deutsche Gesandte von Ketteler von einem chinesischen Offizier erschossen worden war, setzte sich Kaiser Wilhelm II. an die Spitze derer, die nach Vergeltung riefen. Bei der Verabschiedung eines weiteren Expeditionskorps im Juli 1900 dekretierte er in seiner berühmt-berüchtigten ‚Hunnenrede’: „Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht!“ Entsprechend brutal war dann auch die Niederschlagung der Boxerbewegung durch die deutschen Truppen. In deutschen Zeitungen konnten man von beteiligten Soldaten Briefe wie den folgenden lesen: „...denn so eine Gemorde und Geschlachte ist geradezu toll (...) Laß mich schließen in der Hoffnung, dass es nicht mehr solange dauert, denn sonst weiß man schließlich nicht mehr, oder vielmehr man vergisst es, ob man einmal Mensch war.“

Bereits drei Jahre zuvor hatte das deutsche Kaiserreich 1897 China einen Pachtvertrag mit einer Laufzeit von 99 Jahren für die Bucht von Kiautschou mit der Hafenstadt Qingdao (Tsingtau) abgepresst. Als Vorwand galt hierfür die Ermordung zweier deutscher Missionare. Tatsächlich war es eine Maßnahme, um wirtschaftlichen Einfluss zu gewinnen und diesen politisch-militärisch abzusichern. Es war ein ganz ähnliches Arrangement wie es die Briten mit Hongkong hatten und die deutsche Reichsmarine wollte Kiautschou mittels einer modernen Infrastruktur zu eine Musterkolonie machen. Doch in den 17 Jahren deutscher Herrschaft bis 1914 begegnete die chinesische Bevölkerung dieser mit Misstrauen und Widerstand und die hochgesteckten wirtschaftlichen Erwartungen realisierten sich zumindest für das Deutsche Kaiserreich nicht.

Samoa galt als die deutsche „Perle der Südsee“. Doch seine Bevölkerung von 40 000 war nicht nur ethnologisches Untersuchungsobjekt, Eingriffe in das Herrschaftsgefüge durch die Kolonialmacht verliefen auch hier gewaltsam. Der deutsche Gouverneur Wilhelm Solf wollte die einheimische Bevölkerung vor den „Auswüchsen“ der Moderne schützen und er war Verfechter eines generellen Verbots von Mischehen, das allerdings 1913 im Reichstag scheiterte.

Literatur:

  • Mechthild Leutner, Taukustraße, Iltisstraße, Lansstraße – Bausteine einer kolonialen Erinnerungskultur, Köln (online verfügbar)
  • Sebastian Conrad, Deutsche Kolonialgeschichte, München 2008
  • div. Artikel in Wikipedia

Hier geht es zur Umgestaltung des Pekinger Platzes

Johannes Berger (16. Abt. „Grünes Dreieck“ SPD Berlin Mitte)