Freitag, 22.10.2010

Jeder Euro bringt hier Zukunft - Protest vor dem Bauministerium

Trotz Regen und Kälte kamen ganz viele Unterstützer/innen. Foto: Susanne Wolkenhauer

Ab 2011 will sich der Bund die sozial-integrative Komponente der Städtebauförderung sparen. Welche Folgen dies für die 34 schwächsten Berliner Kieze hätte, darauf machten am 20. Oktober Mitarbeiter und Ehrenamtliche aus Projekten, Anwohner, Quartiersräte und Quartiersmanager bei einer Kundgebung vor dem Bundesbauministerium aufmerksam. Die mehr als 300 Teilnehmer/-innen forderten: Wenn Politik vehement und überall mehr Bildung und Integration wolle, so müssen dafür auch die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Denn es sind vor allem die vielfältigen Bildungs- und Integrationsprojekte in den Quartiersmanagement-Gebieten, deren Zukunft jetzt auf der Kippe steht. Sprachförderung, Bildungsnetzwerke, Stadtteilmütter, Anti-Gewalt-Trainings, Jugendfreizeitangebote, Nachbarschaftsaktionen - ausgerechnet jene Initiativen, die das Zusammenleben im Kiez verbessern  und zu ehrenamtlichem Engagement ermuntern, gelten der schwarz-gelben Koalition künftig nicht mehr als förderwürdig.

Uli Lautenschläger übergibt Staatssekretär Mücke 1800 Unterschriften. Foto: Susanne Wolkenhauer

"Viele Projekte sind in Gefahr." sagt Ulrich Lautenschläger, Quartiersmanager in Neukölln und Sprecher des Arbeitskreises Berliner Quartiersmanagementbeauftragter (AKQ). Und Laila Atrache-Younes, Quartiersmanagerin am Kottbusser Tor in Kreuzberg, findet: "Eine Katastrophe ist das."

Staatssekretär: Kürzungen sind nötig und ausgewogen

Im Ministerium vis-a-vis, wo Bundesbauminister Peter Ramsauer (CDU) gerade sein Grundlagenpapier "Weißbuch Innenstadt" vorstellt, überbringt eine Demo-Abordnung Unterschriftenlisten gegen die Kürzungspläne. Da der Minister selbst nicht abkömmlich ist, übernimmt sein Parlamentarischer Staatssekretär Jan Mücke (FDP) den Job, den Protestierenden draußen zu erklären, warum die beabsichtigten Kürzungen notwendig und ausgewogen seien. "Wir haben ja in allen Bereichen gleichermaßen gekürzt. Auch im Verkehrsbereich, beim Lärm- und Naturschutz. Natürlich wünschen wir uns, dass die Städtebauförderung auf relativ hohem Niveau weitergeführt wird."

Live genäht: Ein langes Band vieler guter Argumente für die "Soziale Stadt". Foto: Susanne Wolkenhauer

Apropos Wünsche. Meter um Meter wächst während der Kundgebung ein Band mit Stofffähnchen. Darauf schreiben die Teilnehmer ihre Forderungen, Hoffnungen und Wünsche an die Politik. Mit ihren Nähmaschinen sorgen die Mitarbeiter des Näh- und Werkstudios "7 auf einen Streich" aus dem Neuköllner Richardplatz-Quartier dafür, dass jedes Stück Zukunftshoffnung sturmsicher befestigt ist.

Gegenwind von Ländern und Kommunen

Kunstaktion der Stadtteilmütter aus seinem Neuköllner Körnerkiez. Foto: Susanne Wolkenhauer

Als Minister Peter Ramsauer (CDU) im Juni ankündigte, die Städtebauförderung ab 2011 halbieren zu wollen, ahnte er vielleicht noch nicht, welch massiver Gegenwind ihm, selbst aus den Reihen der eigenen Partei, entgegenschlagen würde. Kommunen und Länder, Minister, Bürgermeister und Senatoren, Wirtschaftsverbände und Interessengruppen äußerten schwere Bedenken. Auf Initiative von Berlins Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) entschied gar im Bundesrat eine breite Ländermehrheit, dass Kürzungen bei der Städtebauförderung inakzeptabel seien. Aber was tun, wenn doch im Bundeshaushalt immer noch ein 50-Millionen-Euro-Loch klafft? Was tun, "damit künftige Generationen nicht die Schulden von heute abtragen müssen", wie Staatssekretär Mücke betont.

Sparen ja, aber an der richtigen Stelle

Bundestagsmitglied Ströbele spricht zu den Demonstranten. Foto: Susanne Wolkenhauer

Zwei Ideen bringt Bundestagsabgeordneter Hans Christian Ströbele (Bündnis90/Die Grünen) zur Kundgebung mit: "Bei Stuttgart 21 könnten einige Milliarden frei werden. Das ist ein Projekt, das die Menschen dort gar nicht wollen." Auch die Mittel zum Ausbau der A 100 in Berlin seien woanders besser und nutzbringender eingesetzt.

"Ein Euro für die Sprachförderung = ein besserer Schulabschluss." veranschaulicht Quartiersrat Jan-Christopher Rämer. Stadtteilmütter aus seinem Neuköllner Körnerkiez bringen zur Frage "Was bedeutet 1 Euro in der 'Sozialen Stadt?'" eine improvisierte Kunstaktion auf die Bühne: gefüttert mit handtellergroßen Euros aus Pappe spuckt eine Karton-Maschinerie Projekte als papiernen Endlosstreifen aus. "Dieser Hit geht voll in die Ohren" rappen anschließend die "Coolen Kids".

Die Break Steady Crew/Break Steady Kids aus dem Neuköllner Richardkiez sorgten für gute Stimmung. Foto: Susanne Wolkenhauer

Sehr kunstvoll ìst auch der Breakdance-Auftritt der "Break Steady Crew/Break Steady Kids" aus dem Neuköllner Richardkiez. "Wir trainieren mindestens zweimal die Woche in der 'Scheune'." erzählt die 15jährige Stamula. Fünf Jahre alt ist der jüngste Tänzer der quirligen Multikulti-Gruppe. Sein nur wenig älterer Kumpel trägt eine Deutschland-Fußballjacke. Die Rückennummer 13 steht für WM-Torschützenkönig Thomas Müller.
"Die Regierungspolitiker sagen immer, dass mehr Bildung und mehr Integration nötig sei. Wenn das stimmt, dann ist die Kürzung der 'Sozialen Stadt' unsozial." betont Swen Schulz, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Spandau. Die Kürzungen abzumildern sei bereits ein erster Schritt in die richtige Richtung. "Aber es gilt noch mehr herauszuholen.", unterstreicht Schulz.

Künftig nur noch Beton fördern?

Tausend Luftballons - für alle Projekte, denen hoffentlich nun nicht die Puste ausgeht! Foto: Susanne Wolkenhauer

Die Kundgebung macht deutlich: Der Countdown zur Rettung der "Sozialen Stadt" läuft. Voraussichtlich in der ersten Novemberwoche wird der Bundestag seinen Beschluss fällen. Die Gefahr ist groß, dass das Förderprogramm dann ab 2011 nur noch auf "investive Maßnahmen", d.h. Baumaßnahmen, beschränkt wird.

Tausend bunte Luftballons steigen am Ende der Kundgebung in den Himmel. Jeder trägt eine Karte mit dem Namen eines Berliner Kiezprojekts, dem durch die Sparpläne des Bundes buchstäblich die Luft ausgehen würde. Und das eingangs erwähnte Band aus Stofffähnchen ist zum Schluss mehr als 50 Meter lang.

"Wir sind es doch, die die Integration erlebbar machen." sagt eine Quartiersrätin vom Wassertorplatz. "Wir sollten nach französischem Beispiel einfach mal einen Tag streiken."

Vielen Dank für den Text von Petra Strachovsky, Kiezmentorin von der Hellersdorfer Promenade (ganz leicht gekürzt) und die fotos von Susanne Wolkenhauer (Kiezmentorin in Tiergarten-Süd und Schöneberger Norden)