„Ich fühle mich hier wie ein Berliner“
Ein Nachmittag mit Joseph King Kameni aus Kamerun
Der lebendige Adventskalender gehört inzwischen zum Sprengelkiez wie das Sprengelhaus oder der Sprengelpark. Jahr für Jahr freuen wir uns in der Vorweihnachtszeit bei den unterschiedlichsten Geschäften und Menschen zu Gast sein zu dürfen. Jeden Tag woanders. Heute öffnet uns Joseph King Kameni die Tür im Sprengelhaus zu einem Erzählcafé. Das Thema: „Ausschnitte aus meinem Leben als Migrant in Berlin“.
Als ich den Raum betrete, sind schon alle Gäste da. Ein gutes Duzend interessiert sich heute für Josephs Geschichte. In gemütlicher Runde sitzen sie bei Kaffee und Weihnachtsgebäck und lauschen seinen Worten. Im Alter von 25 Jahren kam Joseph 2002 auf Grund der unruhigen politischen Lage in seinem Heimatland Kamerun nach Deutschland. In Kamerun protestierte er auf der Straße gegen viel zu niedrige Löhne und hohe Lebensmittelpreise. Er erzählt von Flüchtlingsunterkünften und von den Schwierigkeiten, keinen Pass zu besitzen: „Kannst du dich nicht ausweisen, wirst du eben festgenommen.“ Joseph hat in Deutschland überwiegend positive Erfahrungen gemacht. Kanzler Schröder hat viel gemacht, findet er. Die Situation für Flüchtlinge heute im Vergleich zu damals hat sich stark verbessert. Es gibt viel mehr Hilfsangebote für den Beginn eines neuen Lebens. Die Integration hat sich verbessert und es wird den Ankömmlingen geholfen, die Sprache zu lernen und eine Ausbildung zu machen. Einer der Besucher wundert sich, warum Joseph ausgerechnet nach Deutschland kam, wo er doch bereits Englisch und Französisch sprach. Er sagt: „Ganz einfach, die Deutschen haben mir von Kamerun aus am meisten geholfen.“ Heute ist er froh, dass es so gekommen ist. Nun kann er neben Französisch und Englisch auch noch Deutsch. Damals war die ehrenamtliche Unterstützung von Flüchtlingen noch nicht so verbreitet wie heute. „Es gab nicht viel“, sagt Joseph, „40 Euro im Monat und Massenunterkünfte in ehemaligen Militärkasernen außerhalb der Stadt.“
Einer der Besucher will wissen, wie ihm Berlin gefällt. „Berlin ist eine tolle Stadt. Ich fühle mich hier wie ein Berliner“, sagt Joseph sofort. Es gibt viele Arbeitsmöglichkeiten. Anfänglich war die deutsche Mentalität für einen Kameruner durchaus nicht ganz leicht. Die herzlichen Kameruner haben den Ruf, dass ihr Leben aus adretter Kleidung und Party bestünde. Die Deutschen hingegen sind für ihre Ernsthaftigkeit und Kälte bekannt. Joseph mag das irgendwie, denn es ist ehrlich. „Wenn sie dich mögen sind sie ganz eng mit dir.“
Gemeinsam mit anderen Migranten aus dem Kamerun engagiert sich Joseph in der Organisation Fêfê. Einmal im Monat treffen sie sich, um über ihre Kameruner Kultur zu sprechen und sich mit der Frage auseinander zu setzen, welche Hilfe sie in ihrer Heimat leisten können. Im letzten Jahr konnten sie zum Beispiel Schulmaterial für fünf Schulen sammeln. Fêfê ist für viele wie eine Ersatzfamilie, da viele allein nach Deutschland kamen und ihre Verwandten im Kamerun zurück lassen mussten.
Joseph sagt: "Afrikanische Regierungen sind schwach. Sie lassen sich immer wieder zu für die Bevölkerung unfairen Deals mit den westlichen Großkonzernen ein." Die Regierung denke oft zu kurz, und meint, Investoren in Afrika bedeuteten mehr Arbeitsplätze für die Bevölkerung. Doch dass diese Arbeiter von einem Lohn von zehn Euro monatlich leben müssen, wird vernachlässigt. Spitzenreiter unter den Ausbeutern nach wie vor: Nestlé. Eine Tafel Schokolade kostet uns im Supermarkt ca. 50 Cent. Im Kamerun, wo der Kakao angebaut wird, allerdings über drei Euro. Einer der Besucher nutzt den Moment für einen Appell an alle: „Wir können etwas dagegen tun! Kauft Fair-Trade Produkte!“ Damit beginnt eine kleine Diskussion in der Runde, denn eine weitere Besucherin weist darauf hin, dass es nicht nur in Afrika korrupt zugeht. Nein, auch in Deutschland. Man denke an die kleinen Milchbauern und die Schwierigkeiten, mit den Preisen der Großkonzerne mit zu halten.
Wir kommen zurück zum eigentlichen Thema: Migration. Joseph ist der Meinung, dass Deutschland Migranten braucht. Er selbst ist Altenpfleger und hat oft das Gefühl, das gerade in jenen unbeliebten Jobs der Bedarf an Personal sehr hoch ist. Hier sind die helfenden Hände der Migranten gefragt, findet er. Es werden eben nicht nur hoch gebildete Menschen benötigt: „Merkel hat eine gute Entscheidung getroffen.“
Eine Besucherin ist der Meinung, dass nicht vergessen werden darf, dass es Zeit kostet, bis die Sprache gelernt und die Berufsausbildung abgeschlossen ist. Die Berufsausbildung und die Sprache sind, da sind sich alle einig, das A und O für den Start in Deutschland. Es wird ein Sprichwort angeführt, welches besagt: „Habe ich einen Gast, so gebe ich ihm nach drei Tagen die Hacke in die Hand, damit er mit mir zusammen arbeitet.“ Joseph übersetzt dies in seinen eigenen Worten: „Man kann niemandem 100 Jahre Essen geben, man muss ihm zeigen, wie er dazu kommt.“ Dies führt schnell zum Thema Entwicklungshilfe. Auch hier geht es um die Hilfe zur Selbsthilfe. Das Problem ist nicht das Geld, sondern wie man das Geld lenkt. Den Hilfsprojekten geht es wie den QM-Projekten: Sie sollen Anstoß geben, müssen sich aber langfristig selbst tragen können.
Zum Abschluss möchte Hans-Georg Rennert von Joseph wissen, ob er Erfahrungen mit Rassismus in Berlin gemacht hat. Selbstverständlich hat er dies, doch er findet Rassismus gehört zum Menschen. Es ist die Angst vor dem Fremden. Wenn ein weißer Mensch im Kamerun unterwegs wäre, würde es ihm andersrum genauso gehen. Einer der Gäste erklärt uns die Sache ganz einfach biologisch: Anfangs waren wir alle schwarz, doch in unseren Breitengraden werde das Melanin nicht benötigt. Unsere Haut muss durchlässiger sein, damit wir das Vitamin D der Sonne besser umsetzen können. Im Grunde, so sagt er, ist unsere helle Haut ganz einfach eine Mangelerscheinung. So sollte man die Lage wahrscheinlich jedem Rassisten erklären.
Ein spannendes Türchen hat sich heute geöffnet, in eine mir als geborene Deutsche neue Welt.
Text und Fotos: Anna Lindner