Ich bin mit den Ergebnissen durchaus zufrieden
Interview mit Gerhard Hagemeier vom Runden Tisch Sprengelkiez
Wie ist der Runde Tisch Sprengelkiez entstanden?
Es gibt ihn seit Januar 2015. Er ist hervorgegangen aus einem Dialogtisch, der im November 2014 im SprengelHaus stattfand und der sehr gut besucht war mit ungefähr 35 Leuten. Auch sehr viele Migranten waren dabei und junge Leute. Da entstand die Idee, wir könnten uns auch öfter treffen.
Das Entstehen des Runden Tisches hat also nicht unbedingt etwas mit Quartiersmanagement zu tun?
Nein, das ist eine Initiative engagierter Bürger. Ganz unbeeinflusst vom Quartiersmanagement ist es natürlich nicht, weil uns allen ja schon lange klar war, dass das QM-Verfahren Ende 2016 vorbei ist. Und irgendwer muss ja die Arbeit im Kiez fortführen. Aber um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Von manchen wurde uns vorgehalten, wir wären jetzt das Quartiersmanagement light, das sind wir natürlich nicht. Das QM hat seit 1999 fast neun Millionen Euro in den Kiez investiert. Und wir haben keine Gelder zu verteilen, insofern kann man das überhaupt nicht vergleichen. Wir haben auch nicht die Absicht, das QM zu ersetzen, sondern wollen das umfangreich vorhandene Engagement weiter bündeln und für Vernetzung sorgen.
Wie ist die Zusammensetzung des Runden Tisches entstanden? Wurde da gezielt eingeladen?
Wir haben so breit wie möglich über diverse Verteiler wie den des SprengelHauses oder den der Konfliktagentur eingeladen. Es findet sichdie „bessere Hälfte“ des Quartiersrates dort wieder, der ja 2015 offiziell aufgelöst wurde. Die Engagierten, die Bürger – nicht so sehr die Institutionen oder Vereine, die früher im Quartiersrat saßen. Ein weiterer Teil sind die Dialogtisch-Leute, die das damals so gut fanden, dass sie weitermachen wollten.
Es gibt ja immer Leute, die trommeln, die verstehen auf ihre Interessen aufmerksam zu machen. Andere verspüren vielleicht nicht den Drang, auf ihre genauso legitimen Interessen hinzuweisen oder es fehlen ihnen die Möglichkeiten. Wie geht ihr damit um, dass vielleicht Gruppen wie Migranten, Behinderte oder Alte unterrepräsentiert sind beim Runden Tisch? Denkt ihr deren Anliegen mit oder macht ihr gezielt Anstrengungen, die an den Runden Tisch heranzuführen?
Eine schwierige Frage. Natürlich sind Migranten unterrepräsentiert am Runden Tisch und auch junge Leute. Eines der Ziele des Teams „Begleiten Runder Tisch“, zu dem ich auch gehört habe, war es, gerade diese Gruppen dazu zu holen. Das ist nicht gelungen. Und wenn ich ehrlich bin: Ich habe auch nie daran geglaubt, dass dies gelingen könnte. Man kann niemanden zwingen, sich bürgerschaftlich einzubringen. Einer am Runden Tisch hat mal gesagt: Migranten haben ganz andere Probleme, um die sie sich vorrangig kümmern müssen. Und junge Menschen sind auch schwer zu mobilisieren. Ich bin nicht enttäuscht, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde. Es gibt eine Methode, die nennt sich Open Space. Einer der Leitsätze von Open Space ist: „Die, die da sind, sind genau die Richtigen.“ Und davon bin ich auch überzeugt. Es bringt nichts, über die zu lamentieren, die nicht da sind. Wir arbeiten mit denen, die da sind. Und das sind gute, engagierte Leute, die was wollen und an einem Strang ziehen.
Das QM-Projekt „Begleiten Runder Tisch“ – wo kam das her, was waren die Aufgaben? Und wie sind die Erfolge?
Na, ich formuliere ja ganz gern ein bisschen flapsig. Alle wussten, dass das QM hier raus geht und die haben ja auch viel für den Kiez getan. Und am 31.12. diesen Jahres fällt dann die Klappe. Ganz so wars zwar nicht, wir haben eh schon vor zweieinhalb Jahren die letzten Gelder vergeben, der Quartiersrat ist ja auch seit mehr als anderthalb Jahren aufgelöst. Und jetzt kann doch so einem QM und auch einem Bezirk und Senat nichts Schlimmeres passieren, als dass der Kiez danach völlig in den Keller geht. Alles was aufgebaut wurde, geht den Bach runter, weil es kein Geld mehr gibt. Der Worst Case, das Schlimmste, was passieren könnte.
Dann haben sie sich überlegt: Wie können wir dem vorbauen, damit das nicht passiert? Also wollten sie im Zuge der Verstetigung – übrigens ein unsäglicher Begriff, der ja für uns nichts anderes bedeutet als ein gravierender Entzug von finanziellen und personellen Ressourcen – dafür sorgen, dass es danach noch Strukturen gibt, die ein bürgerschaftliches Engagement im Kiez tragen. Die Konfliktagentur mit ihrer Vorsitzenden Silka Riedel hat zusammen mit der Conceptfabrik von Holger Scheibig damals den Zuschlag bekommen, dieses Begleitteam für den Runden Tisch zu sein.
Damit hast du ja eine interessante Doppelrolle übernommen – im Prinzip begleitest du dich ja selbst.
Der Runde Tisch hat schon ein dreiviertel Jahr gearbeitet, als das Team „Begleiten“ an den Start ging. Ich war von Anfang an dabei und habe dann die Rolle gewechselt, was für mich anfangs recht schwierig war. Ich habe versucht, so transparent wie möglich damit umzugehen. Claudia Schwarz vom Nachbarschaftsladen hat gesagt: „Gerhard, mach dir keine Platte. Wir wissen, wer du bist.“ Das hat mich total entlastet an der Stelle.
Ich bin mit den bisherigen Ergebnissen des Runden Tisches durchaus zufrieden. Ich persönlich hielt es in unserem Falle nicht für sinnvoll, einen Externen mit der Moderation zu betrauen. Und das ist kein Votum gegen Holger, der hat einen guten Job gemacht. Aber man muss sich mal vorstellen: Wir haben den Runden Tisch schon neun Monate allein gemacht mit der Moderation von Claudia Schwarz und Hans-Georg Rennert aus dem SprengelHaus. Ehrenamtlich und unbezahlt. Jetzt auf einmal kommt Holger und bekommt Geld für etwas, das vorher eh’ schon stattgefunden hat. Holger ist ein sehr guter Moderator. Aber wir haben ein halbes Dutzend Leute am Runden Tisch sitzen, die selber moderieren können, mich inbegriffen. Nicht das ich das machen wollte, Holger kann das auch besser als ich. Ich hätte es besser gefunden, wenn man den Leuten, die da bürgerschaftlich engagiert sind, ein bisschen Geld gibt dafür, dass sie das Gremium leiten, das Protokoll führen, die Öffentlichkeits- und die Netzwerkarbeit machen. So, wie das jetzt in unserem FEIN-Antrag drinsteht. Ich halte es für besser, dass man die Leute, die vor Ort sind, fördert. Dass man halt für die wesentlichen Aufgaben eine Aufwandsentschädigung bezahlt.
Dieser FEIN-Antrag, worum geht es da? Und um welche Summen?
FEIN steht für Freiwilliges Engagement in Nachbarschaften. Mit dem Ende des QM bricht einiges weg. Zum Beispiel bekommt der Kiezbote kein Geld mehr aus dem Programm Soziale Stadt. Der Runde Tisch hat stark gelebt vom Geld aus dem Projekt „Begleiten Runder Tisch“. Auch das endet am 31.12. Also haben wir uns überlegt: Was brauchen wir hier dringend? Wir brauchen dringend den Kiezboten für die Öffentlichkeitsarbeit, und was braucht der Kiezbote? Druckkosten, einen Computer fürs Layout, eine Koordination für die Bürgerjournalisten, ein bisschen Manpower für das Layout. Und dann: Was braucht der Runde Tisch? Eine Moderation, Protokoll, Öffentlichkeitsarbeit, Netzwerkarbeit. Also Gespräche führen und Kontakt halten zu anderen wichtigen Gremien wie Stadtteilvertretung Müllerstraße oder Kiezplenum. iNTEGRiTUDE e. V. hat als bisheriger Träger des Kiezboten einen gemeinsamen Antrag für den Kiezboten und den Runden Tisch gestellt, der diese Elemente enthält. Es geht um 30.000 Euro, die ungefähr zur Hälfte an Kiezboten und Runden Tisch gehen. Und nun wird es so sein, dass regelmäßige Teilnehmer am Runden Tisch diese Funktionen übernehmen werden. Die Moderation werden Silka Riedel und Hans-Georg Rennert übernehmen. Wenn man schaut, wer etwa die Website des Runden Tisches betreut, das ist Siemen Dallmann. Und dann ist die Frage, wer die Öffentlichkeitsarbeit macht, aus meiner Sicht auch schon beantwortet.
Wie geht es mit dem Runden Tisch konkret weiter?
Mit den Geldern aus dem FEIN-Antrag sehe ich uns gut aufgestellt. Geht er nicht durch, ist das einerseits eine Katastrophe. Andererseits wird sich der Runde Tisch auch so weiter treffen, in der bisherigen Zusammensetzung mit ca. 15 Leuten. Die sechsköpfige Kerngruppe wird sich weiter treffen, so oder so. Das sind Leute, die machen das nicht für Geld. Die wollen etwas erreichen. Natürlich ist es schön, wenn das honoriert wird. „Ehrenamt zahlt meine Miete nicht“, hat Siemen Dallmann mal gesagt.
Es wird einiges auf uns zukommen. Gestern hat jemand einen Antrag an den Sprengelkiezfonds 2017 gestellt. Es gibt ja keine „Soziale Stadt“ mehr. Für sowas wie das Familiensportfest, eine wichtige Veranstaltung, gibt es kein Geld mehr. Also wenden sie sich an den Sprengelkiezfonds. Den gibt’s aber noch nicht für 2017. Wir sind auf einem guten Weg, haben 2.300 Euro in Eigenregie gesammelt. Es gibt eine achtköpfige Jury, die komplett weitermacht. Einer will noch dazu, dann sind wir neun. Wir haben einen Antrag bei der Jugend- und Familien-Stiftung des Landes Berlin gestellt zur Aufstockung dieser 2.300 Euro. Mindestens 5.000 Euro sollen es sein. Und zum 1. Januar gibt es die Sozialraumkoordination für Wedding Zentrum mit Sitz im SprengelHaus.
Ist Konstanz denn wichtig bei solchen Sachen? Dass der Kiezbote weiter erscheint, dass der Runde Tisch weiter auf dem Niveau arbeiten kann wie bisher?
Ja, das ist total wichtig. Ich hoffe, dass die Mühlen der Verwaltung nicht allzu langsam mahlen. Wir treffen uns im Januar als Runder Tisch natürlich auch dann, wenn über den FEIN-Antrag noch nicht entschieden ist.
Eins ist mir noch wichtig zu sagen. Als Mitglied der Steuerungsrunde hatte ich immer das Gefühl, dass der Senat, also Frau Glücklich, und der Bezirk mit Frau Linde und auch das QM-Team mit den Bürgervertretungen Quartiersrat und Runder Tisch immer an einem Strang gezogen haben. In 17 Jahren QM sind meines Wissens nur zwei Anträge, die der Quartiersrat befürwortet hatte, von der Steuerungsrunde aus QR, QM, Bezirk und Senat gekippt worden. Dem stehen hunderte gegenüber, die im Sinne des demokratisch gewählten Quartiersrates durchgegangen sind. In Mitte haben wir da wohl auch Glück. Aus anderen QMs weiß ich, dass die Quartiersräte nicht unbedingt in der Steuerungsrunde dabei sind, da lässt sich die Verwaltung nicht in die Karten gucken. Und das konnte ich als langjähriger Quartiersratssprecher immer tun, auch später als Vertreter des Runden Tisches. Da hatten wir ja eigentlich gar keinen Anspruch mehr drauf, wurden aber immer eingeladen.
Gibt es denn Kontakte zu oder Erfahrungsaustausch mit anderen QM-Gebieten, die verstetigt wurden?
Es gab die Initiative „Quartiersräte vernetzen“ im letzten Jahr. Die wollten möglichst regelmäßige Treffen von Vertretern aus allen 34 QM-Gebieten. Leider ist es nicht gelungen, ausreichend Kollegen dafür zu gewinnen. Mit Jörg Borchert vom QM-Gebiet Magdeburger Platz habe ich mich aber regelmäßig ausgetauscht. Wie immer hängt es an den handelnden Personen.
Wie siehst du denn die Zukunft des Sprengelkiezes im Ganzen, unabhängig von FEIN-Mitteln, die ja ohnehin nur ein Tropfen auf dem heißen Stein wären?
Auch der Sprengelkiez ist von Gentrifizierung betroffen. Globale kapitalistische Auswirkungen machen auch vor den Grenzen unseres Inselkiezes nicht halt. Und sie übersteigen bei weitem die Möglichkeiten eines Bürgergremiums wie dem Runden Tisch, aber auch die eines Quartiersmanagements und einer Bezirksverwaltung, selbst der Senat hat da nur begrenzt Einfluss. Wir sind in den letzten drei Jahren um ca. 1500 Einwohner gewachsen. 2013 waren wir 15.000 Menschen und 2015 schon 16.500. Das ist der Hammer.
Wo wohnen die denn alle?
Hab ich mich auch gefragt, weil ja kein einziges Haus gebaut worden ist. Die sind in leer stehende Zimmer eingezogen. Es gibt viele Menschen, die allein in Zwei- oder Dreizimmerwohnungen leben. Die konnten sie sich leisten hier mit einer erträglichen Miete. Die Miete hat aber zuletzt bei vielen rasant angezogen, und jetzt vermieten sie. Früher sind die jungen Familien hier weggezogen, wenn ihre Kinder in die Schule kamen. Die sollten nicht in die Grundschulen hier gehen mit dem hohen Migrantenanteil. Mittlerweile ziehen Familien wegen der ausgezeichneten Schulen hierher. Gerade was Renate Vercrüße als Schulleiterin an der Leo-Lionni-Schule geleistet hat, ist enorm.
Ich glaube nicht, dass Globalisierung, Gentrifizierung oder Kapitalismus Naturgesetze sind. All das ist menschengemacht. Ich glaube an Veränderung. Auch wenn da gewaltig dicke Bretter zu bohren sind: Wir können und müssen an dem System was ändern. Was Menschen in Deutschland laut Umfragen am meisten stört sind Ungerechtigkeit und Ungleichheit. 90% der Menschen stört das. Daran sieht man, dass eine Unzufriedenheit herrscht, mit der man auch etwas bewegen kann.
Ein Beispiel: Der Bezirk weist ein Milieuschutzgebiet aus wie hier im Sprengelkiez. Keine Luxusmodernisierung, keine Wohnungszusammenlegung ohne Zustimmung des Bezirkes. Das ist schon mal ein Schritt! Dann gibt es die sogenannte Mietpreisbremse. Sie bremst zwar nur begrenzt, aber besser als nichts. Wenn ein Neubaugebiet wie Europa City entsteht, dann müssen laut Bebauungsplan nur wenige Wohnungen zu günstigen Mieten angeboten werden. Es ist eine Frage des politischen Willens, die Anzahl der günstigen Wohnungen substanziell zu erhöhen. Die Menschheit hat meiner Ansicht nach kein Erkenntnisproblem, sie hat ein Umsetzungsproblem. Wir wissen genug, müssen es nur umsetzen.
Der Sprengelkiez wird berlinweit immer attraktiver. Wir werden alle durchgestylt. Es gibt wenig Platz für alternative Modelle. Ich persönlich habe Glück gehabt. Ich habe eine sehr schöne Wohnung, die auch noch bezahlbar ist mit ihrem Sub-Standard. Ich wohne in einem Kiez, der mir ausgesprochen gut gefällt mit einem Haufen sympathischer und engagierter Menschen. Als „Team Begleiten“ haben wir mal recherchiert: Es gibt um die 70 unterschiedliche Vereine, Verbände oder Initiativen im Sprengelkiez. Wenn du nur von 5 bis 10 Menschen je Verein ausgehst, bist du schon bei mindestens 500 Leuten, die auf irgendeine Weise etwas tun in diesem Kiez. Es ist für jeden etwas dabei. Und die Identifikation mit dem Kiez ist hoch.
Wie arbeitet ihr denn zusammen am Runden Tisch? Macht es Spaß?
Ja, es macht Spaß. Aber es war gelegentlich auch schwierig. Es wäre z. B. gut gewesen, wenn man dem Runden Tisch nach seiner Gründung die Möglichkeit gegeben hätte, selbst zu sagen, was er will. Und wenn es nicht ein halbes Jahr gedauert hätte, bis die Verwaltung dem Projekt Begleiten Runder Tisch grünes Licht gab.
Ich verstehe mich mit allen am Runden Tisch gut. Insbesondere auch mit der Kern- oder Vorbereitungsgruppe. Und ich hatte immer das Gefühl, dass bei allen die Zielrichtung die gleiche ist. Was ich auch gut finde ist, dass sich am Runden Tisch unterschiedliche Sichtweisen und Fähigkeiten versammeln. Ich habe den Eindruck, dass jeder von uns das tun kann, was er oder sie am besten kann. Das finde wichtig. Denn ich bin richtig gut in dem, in dem ich richtig gut bin. Klaus Wolfermann ist richtig gut in dem, in dem er richtig gut ist. Und Silka Riedel und Siemen Dallmann und alle anderen auch. Alle haben ihre zum Teil herausragenden Qualitäten. Und die zusammenzubringen und zu bündeln, das zumindest haben wir geschafft. Wenn es nötig war, sich auf etwas Gemeinsames zu einigen, ist das immer gelungen.







